April 2014
Ca. eineinhalb Jahre später möchte ich diesen Beitrag doch noch einmal aktualisieren. Die Zeit der verordneten Agonie für die Kreisverwaltung schien ja zu Beginn des Jahres vorbei zu sein. Doch leider hat die bestehende Kreispolitik seit Januar 2014 herzlich wenig dazu beigetragen, dass sich die Agonie auflöst und man die notwendigen Hausaufgaben in Sachen Alltag tatkräftig angeht und so nach und nach wieder zu einer funktionierenden, weil handelnden Verwaltung beiträgt.
Juni 2012
Schon im vergangenen Jahr war das Thema kommunale Fusionen häufiger in der öffentlichen Diskussion
Warum wird das Thema Fusion resp. interkommunale Zusammenarbeit des Landkreis es Helmstedt mit der Stadt Wolfsburg in der Öffentlichkeit so intensiv diskutiert?
Dafür gibt es m. E. drei erkennbare Gründe:
■1. Das Land Niedersachsen stellt allen fusionierenden Kommunen einen Schuldenerlass im Rahmen des sog. Zukunftsvertrags in Aussicht.
■2. Die neue Generation der Kommunalmanager (Bürgermeister, Landräte) sieht in den Fusionen DAS Profilierungsinstrument, um Ihre kommunalen Gebietskörperschaften zukunftsfähig zu machen. Es spielen also auch karrierebedingte Gründe durchaus eine Rolle.
■3. Das Land Niedersachsen resp. ein Teil der politischen EntscheidungsträgerInnen wollen das Land „modernisieren“ und damit zukunftsfähiger machen. Allerdings geschieht das ohne besondere Transparenzanstrengungen und leider auch ohne eine datentechnische Hinterlegung.
Was bedeutet denn der hier angesprochene Schuldenerlass im Rahmen des Zukunftsvertrages? Wo kommen überhaupt die kommunalen Schulden her? Welche Schuldenfaktoren gibt es? Warum möchte das Land, dass kommunale Gebietskörperschaften fusionieren und welche Auswirkungen hat das auf den Landeshaushalt?
Mit diesem Fragenkomplex wird zunächst einmal der Hintergrund näher beleuchtet, damit man etwas mehr Einblick erhält in den Mechanismus, der hier angesprochen wird.
Der Landkreis Helmstedt weist eine hohe Verschuldung auf. Soll der Landkreis in Zukunft handlungsfähig bleiben, müssen weitere Konsolidierungskonzepte erstellt und Einsparungen erbracht werden. Dann erst kann der Landkreis Helmstedt auch am sog. Zukunftsvertrag des Landes Niedersachsen teilhaben. Kommunen, die durch Fusion und Konsolidierung oder durch Eigenkonsolidierung einen ausgeglichenen Haushalt erreichen, können im Rahmen des Zukunftsvertrages 75 % ihrer Kassenkredite bis zu einem bestimmten Stichtag (2009) an das Land Niedersachsen abgeben. Ab 2012 stellt das Land für die Übernahme jährlich Sondervermögen zur Rückführung der Kredite zur Verfügung. Ziel ist die „Wiederherstellung der dauernden Leistungsfähigkeit“ von Kommunen.
Soweit, so gut.
Es gibt zwei kritische Punkte:
1. Warum wird so viel über die Verschuldung gesagt, wenn der Landkreis Helmstedt nachweislich unter dem Verschuldungsdurchschnitt des Landes Niedersachsen liegt? Schauen Sei dazu einfach selbst in den einschlägigen Statistiken nach und Sie werden diese Aussage selbst nachvollziehen können. Unter dem Landesdurchschnitt hinsichtlich des Indikators Verschuldung/Einwohner zu liegen bedeutet, dass es kommunale Gebietskörperschaften in Niedersachsen gibt, die darüber liegen. Und warum bekommen diese genehmigte Haushalte und bei der Landkreisverwaltung wird ständig gesagt, der Landkreis Helmstedt sei nicht mehr handlungsfähig und das Innenministerium ignoriert dieses klassischen Indikator?! Da stimmt irgendetwas nicht!?! Selbst wenn eine Prognose gestellt wird, die u.a. diesen einen Indikator höhertreibt (rein statistisch bedingte Erhöhung z. B. wegen abnehmender Bevölkerungszahlen) , dann ist doch immer noch feststellbar, dass es im Land deutlich schlechter gestellte kommunale Gebietskörperschaften gibt.
2. Was ist mit dem Verschuldungsmechanismus, der zu diesen finanziell kritischen Situationen geführt hat?! In vielen Fällen sind es die Sozialkosten, die die Gemeinden und Städte in den finanziellen Ruin führen, da die AntragstellerInnen einen Rechtsbehelfsbelehr und damit einen Rechtsanspruch und ggf. einen Rechtstitel gegen die Stadt oder Gemeinde haben. Zudem muss die Kommune die Mittel zunächst verauslagen, um sie im Zuge des Kostenausgleichs von Bund und Ländern wieder per Ausgleichszahlung zurückzufordern. Doch genau da liegt der Hase im Pfeffer. Das passiert nur teilweise und immer wieder leider nur unvollständig. Das nennt man in der Fachsprache das ausbleibende Konnexitätsprinzip. Es bedeutet, dass derjenige der bestellt, NICHT bezahlt oder eben nur unvollständig.
Vorausgesetzt, dass der bestehende Schuldenmechanismus beseitigt werden kann, also Bund und Länder für die auf die Kommunen verlagerten Aufgabenstellungen auch adäquate Bezahlungsabläufe etablieren, dann sind nach meiner persönlichen Meinung kommunale Aufgabenkooperationen sehr sinnvoll, das steht ausser Frage!
Bevor man tiefer in die Materie geht, möchte ich hier anmerken, dass Landkreise seit alters her Kooperationsplattformen darstellen, um es in einer modernen Sprachbegrifflichkeit zu definieren. Landkreise sind, anders als die kreisfreien Städte, schon immer auf alle möglichen Formen der Zusammenarbeit mit den kreisangehörigen Städten und Gemeinden ausgerichtet. Das besondere dabei ist, dass m. E. Landkreise dadurch eine sehr hohe Kompetenz in diesem Sachgebiet aufzuweisen haben, da sie immer im Rahmen der rechtlichen Vorgaben und unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlich fixierten kommunalen Selbstverwaltung tätig sind. Insbesondere im sogenannten freiwilligen Aufgabenbereich gibt es hunderte, wenn nicht tausende erfolgreicher Beispiele im Bundesgebiet, die dank der stark ausgeprägten rechtlichen und mediatorischen Kompetenzen von Landkreisen aktiv sind. Das gilt natürlich auch für den Landkreis Helmstedt, der in vielerlei Kooperationen mit den umliegenden kreisfreien Städten und Landkreisen (auch im Bundesland Sachsen-Anhalt – leider wird zum Ende des Jahres 2012 der Landkreis Helmstedt aus einer dieser Kooperationsplattformen austreten (DEUREGIO Ostfalen e.V.) , was ich für kritisch halte), den kreisangehörigen Städten und Gemeinden sowie vielen anderen staatlichen, halbstaatlichen und privatrechtlich organisierten Institutionen vertragsrechtlich gebunden ist. Und das seit z. T. seit Jahrzehnten erfolgreich.
Oftmals habe ich den Eindruck, dass gerade neu aufstrebende politische Kräfte dieses gar nicht wissen und auch nicht wirklich wissen wollen. Es ist natürlich rein sachbezogen einfacher, alles bestehende aus Unwissenheit prinzipiell in Frage zu stellen und öffentlich schlecht zu reden, um sich selbst als „Heilsbringer“ zu deklarieren, doch damit düppiert man auch die vielen Fachleute und die meist herorragenden Arbeitsergebnisse dieser Menschen, die z. T. jahrelang verhandelt haben, um geeigenete und vor allem überlebensfähige Institutionen und Organisationen gesellschaftlich und administrativ zu etablieren.
Die Sinnhaftigkeit einer kommunalen Zusammenarbeit kann anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden., die aber auch, wie gerade erläutert, ohne Fusionen z. T. seit Jahrzehnten bereits in vielen Landkreises seit Jahrzehnten praktiziert werden.
Beispiel 1: Gemeinsames kommunales Rechenzentrum
Beispiel 2: Gemeinsame Personalbearbeitung
Beispiel 3: Gemeinsame Bauhöfe
Beispiel 4: Gemeinsame Krankenhäuser, Kindergärten, Volkshochschulen u.a.
Beispiel 5: Gemeinsame Gewerbeflächenentwicklung
Beispiel 6: Gemeinsame Gewerbeflächenvermarktung
Beispiel 7: Gemeinsame Tourismusvermarktung
Beispiel 8: Gemeinsame Rechnungsprüfungsämter
Beispiel 9: Gemeinsame Rettungsleitstellen
Beispiel 10: Gemeinsame Jugend- und Ausbildungsförderung
Die Beispiele lassen sich beliebig fortsetzen. Es gibt kaum ein Tätigkeitsfeld, in dem Landkreise nicht kooperativ aufgestellt sind. Insofern betrachte ich es aus rein administrativ-organisatorischer Sicht als kritisch, wenn der Fokus bei der Fusionsdiskussion auf kreisfreie Städte gelegt wird, die mit Landkreisen kooperieren sollen. Kreisfreie Städte pflegen für gewöhnlich völlig andere Entscheidungsszenarien als sie Landkreise aufzuweisen haben, schon alleine deshalb, weil hier ein Parlament und eine Verwaltung für ein Stadtgebiet zuständig sind. Bei Landkreisen sind die kreisangehörigen Städte und Gemeinden sehr bürgernah mit bestimmten und rechtlich garantierten Selbstverwaltungsrechten ausgestattet, so dass wesentliche Entscheidungen auch vor Ort getroffen werden müssen und die Landkreise oftmals als Genehmigungsbehörden tätig sind. Wem diese Abläufe als nicht zeitgemäß erscheinen, der solle sich m. E. bitte vergegenwärtigen wieviel gesellschaftliche Stabilität und Gesellschaftsfrieden mit diesen Vorgehensweisen seit Jahrzehnten gehalten werden konnte und wie still und doch effektiv die entsprechenden Kooperationsplattformen zum Wohle der Bevölkerung funktioniert haben! Es hat m. E. auch mit der verfassungsrechtlich gesicherten Friedenspflicht im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung zu tun, dass diese Konstrukte so gute Arbeit abgeliefert haben und natürlich auch damit, dass die jeweiligen Konstrukte über direkte Mitsprache- und Entscheidungsrechte der jeweiligen Parlamente in den Städten und Gemeinden kontrolliert werden können.
Nach meinem persönlichen Dafürhalten kann konstatiert werden, dass je weiter die Entscheidungsbefugnisse von der Bürgerschaft entfernt sind, desto „undemokratischer“ (i. S. von demokratieferner) werden die Entscheidungsfindungsabläufe, desto weniger fühlt sich die Bürgerschaft involviert und beteiligt bei der Gestaltung des eigenen Wohn- und Lebensgestaltungsraumes. Und je größer die fühlbare Distanz wird, desto stärker nimmt die gesellschaftliche Stabilität ab und die Menschen und deren Lebensgestaltungsräume werden austauschbar und nehmen in ihrer gefühlten Einzigartigkeit ab.
Das kann anhand vielfacher Untersuchungen aus den sozio-politischen Fachbereichen belegt werden. Ein gutes Beispiel ist der gesetzlich etablierte Zweckverband Großraum Braunschweig oder die Allianz für die Region GmbH (hervorgegangen aus der Projekt Region Braunschweig GmbH), die wie zweite Ebenen wirken hinsichtlich ihrer Steuerung und demokratischen Kontrolle. In ersterem sitzen designierte Stadtrats- und KreistagspoltikerInnen, die aber keinerlei Berichtpflichten unterliegen und in zweiterem werden die kommunalen Gesellschafter durch Bürgermeister und Landräte vertreten, die ebenfalls keinerlei Berichtspflicht unterworfen sind. Sie können sich vielleicht vorstellen, dass wenn es keine Transparenz- und Berichtspflichtregeln gibt, die Nachvollziehbarkeit von Entscheidungen ganz erheblich leidet. Und so führen diese „zweiten Ebenen“ über kurz oder lang ein vortreffliches Eigenleben und das obwohl hunderttausende Euros pro Jahr an Umlagen und Zuwendungen seitens der kommunalen Mitglieder (also aus dem Steuersäckl wie es so schön heisst) in diese Institutionen einbezahlt werden (müssen).