9.11.2014
Nun sind es doch schon wieder 25 Jahre her, dass die innerdeutsche Grenze aufgehoben wurde. Das ist ein ganzes Vierteljahrhundert. Einigen wird es wie mir ergehen, dass sie sagen, wie 25 Jahre, wo sind die geblieben?!? Das ist doch gerade erst vor Kurzem passiert?!
Ja, die Zeit rennt einem nur so davon bzw. ist die Zeit immer die Zeit gewesen und wird es auch bleiben, nur unsere gefühlte Lebens- und Aktivitätszeit erscheint uns immer kürzer zu sein und immer schneller zu vergehen. Manchmal kommt es einem vor, als flöge sie an einem vorüber.
Das soll jetzt allerdings nicht Thema dieses Beitrags sein.
Vielmehr geht es darum, was hier vor Ort in Sachen ehemalige innerdeutsche Grenze geschehen ist.
Meiner Generation und den Generationen, die vor 1960 geboren wurden, ist die innerdeutsche Grenze durchaus noch ein Begriff, haben wir es doch erlebt, dass unser Land durch eine menschenverachtende Grenze geteilt war. Und wir haben mit einer mehr oder minder großen Verwunderung erlebt, was damals im Jahr 1989 vor unseren Augen ablief und geschah. Die BürgerInnen der DDR wollten sich nicht länger bevormunden lassen und gingen auf die Straße, um Freizügigkeit zu verlangen.
Das ist für sich gesehen schon fast unglaublich. Was aber noch viel unglaublicher ist, ist die Tatsache, dass diese Revolution friedlich verlief!
Ich weiß noch wie heute, dass ich echt Bammel bekam, als ich die Nachrichten schaute und sah, was in den Städten in Ostdeutschland geschah! Das war ganz großes Theater, Freude! Wirklich! Wir saßen wann immer wir konnten am Fernsehen oder dem Radio – Internet gab es damals noch nicht – und schauten uns dieses Geschehen an. Meine ganze Solidarität und mein Herz waren ergriffen von dem, was ich da sah! Doch wir wussten auch genau, was geschehen könnte. Waren doch die Sowjets nicht immer davon angetan, dass die Völker sich vom Sowietsystem verabschieden wollten. Dass es dann doch friedlich verlief ist ganz bestimmten Personen zu verdanken und man kann es im Nachhinein nicht hoch genug anrechnen, dass es nicht zu gewaltsamen Auseinandersetzungen oder gar einem Krieg gekommen ist.
Heute, über 25 Jahre später, erleben wir Deutschen wie in anderen Länder, meist zunächst auch friedlich, versucht wird, diese Freizügigkeit ebenfalls zu erlangen. Leider wird in der überwiegenden Zahl der Fälle dann offensichtlich, dass die Menschen und entscheidenden Persönlichkeiten eben gerade nicht die Verantwortung im Sinne eines Leben schonenden Ablaufs gewährleisten, sondern im Gegenteil, Hass, Missgunst und hintertriebene Egoismen des Machterhalts in den Vordergrund rücken und diese Nationen sich dann in der Folge binnen kürzester Zeit durch einen Bürgerkrieg ins Mittelalter zurück befördern. Das ist ganz ganz schrecklich. Und vielleicht ist auch deshalb gerade dieser Ort hier, also Helmstedt von so besonderer Bedeutung. Denn schließlich liegt etwas nordöstlich dieser niedersächsischen Kleinstadt einer der wichtigsten zentraleuropäischen ehemaligen Grenzübergänge mit Helmstedt/Marienborn.
Bereits 1994 habe ich selbst versucht, hier eine Art Kompetenzzentrale für Grenzüberwindung zu initiieren. Das geschah damals noch im Rahmen einer Strukturanalyse für den Landkreis Helmstedt. Ab 1997 dann engagierte ich mich zu dem Thema erneut, um über den Werbeslogan „Helmstedt – grenzenlos“, „Helmstedt ist die Grenze los“ einen ersten Anlauf zu wagen, um kompetente Menschen zusammenzuführen, die mit dem Themenbereich Wegfall einer Grenze oder Umgang mit Grenzen Aussagen treffen können. Es blieb bei einer einmaligen Veranstaltung, der der damalige Oberkreisdirektor entscheid, dass auf Eingabe der Stadt Helmstedt hin, das Projekt auch eben dort verortet werden sollte und nicht beim Landkreis Helmstedt. Schade eigentlich, denn daraus hätte sich weit mehr machen lassen.
Zur EXPO 2000 wurde dann das Projekt „Grenzenlos-Wege zum Nachbarn“ als dezentrales EXPO-Projekt registriert. Bis heute werden im Rahmen dieses Projekts bei den sog. Helmstedter Universitätstagen Themen zur Grenzproblematik aufgegriffen. Das ist schwierig genug und hat zumindest dazu geführt, dass Thema und Intention ausgebaut und erweitert werden konnten. Der internationale Effekt blieb allerdings weitestgehend unterentwickelt, da es nicht gelang, ein tiefergehendes und das Thema intensiver bearbeitendes Management vor Ort zu etablieren. Es steht außer Frage, dass gerade die Verbindung zwischen dem Ort (ehemaliger Grenzübergang Helmstedt/Marienborn sowie das Grenzdenkmal Hötensleben bei Schöningen) und dem höchstaktuellen Themaprofil Grenzkonflikte, Grenzsicherung (Frontex, Grenzüberwindung, Migration) eine gewaltiges internationales Potenzial aufzuweisen haben. Doch warum aus drei Teufels Namen sollte sich eine internationales und in diesem Themenbereich professionelles Klientel ausgerechnet für Helmstedt interessieren. Genau darin liegt das Problem und genau deshalb ist es meiner Meinung nach, wie übrigens seit 1994, sehr wichtig, dass man sich erstens vor Ort über diese einmalige Situation bewusst ist, zweitens, dass man erkennt, dass man zusätzliche Beratungs- und Managementfähigkeiten einkaufen muss, um die Internationalität des Themas bewerkstelligen zu können und dass man sich drittens darüber im Klaren sein muss, dass man langfristige Nachhaltigkeit nur erreicht, wenn man das finanzielle und organisatorische Engagement für mindestens zehn Jahre aufrecht erhält.
Davor schreckten bisher die Verantwortlichen vor Ort stets zurück. Das mag an der kleinräumigen Mentalität liegen oder auch daran, dass man Angst vor der eigenen Traute hat – übrigens passiert ähnliches bei der NICHT-Nutzung aufzulassender ehemaliger Tagebaue im Revier Helmstedt-Schöningen – oder auch daran, dass man sogar Förderoptionen nicht wahrnimmt (so einst geschehen bei sog. Offroad-Konzept). Das Thema und vor allem seine internationalen Potenziale werden lediglich auf Sparflamme gekocht und nicht intensiv genug ausgearbeitet. Und das 25 Jahre nach der Grenzöffnung! DAs muss man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen.
Doch es gibt Licht am Horizont. Der Landesbeauftragte der Region Braunschweig hat sich des Themas angenommen und die Allianz für die Region GmbH hat nach einer Voruntersuchung durch einen externen und international gut beleumundeten Berater nun die ersten konkretisierenden Schritte aufgenommen, um eine „Internationale Begegnungsstätte Helmstedt/Marienborn“ zu konzipieren. Leider viel zu spät, denn trotz der steuermillionen schweren 25-Jahre-Mauerfall-Hype brauchte man sowohl vor Ort als auch in der Region und erst recht auf niedersächsischer Landesebene eben diese 25 Jahre, um die ursprüngliche Idee von mir weiter zu entwickeln. Es ist der Präsentation in meinen Büroräumen zu verdanken, dass dieses internationale Beraterteam nachvollzog, dass dieses „Grenzthema“ ein nachvollziehbares und erkennbares internationales Potenzial hat. Und erst nachdem dieses Beraterteam das dann im Rahmen des sog. RIK (Regionalen Umsetzungs- und Investoren-Konzepts) als ein touristisches Schwerpunktprojekt vorgestellt hatte, wurde es folglich weiter entwickelt. Bis zu diesem Zeitpunkt waren es dann schon mehrere hunderttausende Euro, die in die hochwohlfeile Papierbeschriftung geflossen sind. Inzwischen wurde dann eigens eine Fachkraft bei der Allianz für die Region GmbH angestellt, der sich mit den volkswirtschaftlichen und betriebswirtschaftlichen, teils auch regionalwirtschaftlichen „möglichen“ Folgen beschäftigt. Das hätte man günstiger haben können, oder nicht?! Gut, solche hochwichtigen, exaltierten und exklusiven Think-Tanks und competence center haben durchaus ihren Sinn und wenn es der ist, dass viele Millionen an Steuermitteln und Unternehmensgeldern zunächst für Berater, Berater der Berater, Berater der Berater der Berater ausgegeben werden, um dann die Politik zu beraten, die wiederum weitere politische Ebenen beraten und wenn zum Schluss alle beraten sind, dann hat das mehrere hunderttausend Euro kostende bunt bedruckte Papier vielleicht den Sinn erfüllt, dass sich alle ganz hipp und awesome fühlen und ein regionaler Heilsbringer dann einen auf seriös machen kann und fürderhin von sich behaupten darf, dass er das ja alles erst in Gang gebracht habe. Doch weit gefehlt, es ist alles nur geklaut! Und mit ein wenig mehr Ernsthaftigkeit hätte man bereits 1995-2000 dieses Projekt zumindest in der ernsthaften Version eines Zentrums für Grenzüberwindungsstrategien o.ä. in Marienborn/Helmstedt einrichten können.
Nun, inzwischen gibt es erste Verlautbarungen, das die avisierte Internationale Begegnungsstätte Helmstedt/Marienborn mehrere hundert Millionen Euro kosten soll und es sollen sich wie in einem Walt-Disney-Park hier alle Erlebnis- und Freudenstufen zum Thema ehemalige innerdeutsche Grenze für zahlende KundInnen durchleben lassen. Wenn das nichts ist!?!
Es ist auf jeden Fall grenzwertig!